Die Welt als Vogelhäuschen oder umgekehrt
Gedanken zu den Skulpturen von Christoph Wank
(von Bernhart Schwenk)

Als Christoph Wank in eines der hohen Fenster der Münchener Kunstakademie ein kleines, kreisrundes Loch schnitt, gerade so groß, daß ein Vogel hätte hinausfliegen bzw. hineinfinden können, tat er etwas sehr Entscheidendes – so beiläufig dieser Vorgang und so minimal dieser Eingriff auch zunächst erscheinen mag. Der Künstler teilte damit die Welt in ein Innen und ein Außen und durchbrach gleichzeitig die soeben definierte Grenze, welche im Grunde jetzt erst als eine solche wahrgenommen wurde. Eine Fläche, die wir für glasklar hielten, so klar, daß wir sie schon gar nicht mehr wahrnahmen, wurde auf diese Weise noch transparenter, obwohl wir nicht vermuteten, daß dies überhaupt möglich sei. Im Zusammenhang mit dem spezifischen Ort der Handlung, der Kunstakademie, gelang dem Künstler sogar noch mehr. Er perforierte die Membran zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Die unüberwindbar scheinende Trennung zwischen der Innenwelt akademischer und ungebunden-unverbindlicher Freiheiten einerseits und der Öffentlichkeit pragmatischer Grundsätze und fragloser Mechanismen andererseits war porös geworden , die Verbindung zwischen Kunst und Leben , durch ein winziges Schlupfloch hergestellt, geglückt.

Vogelgleich schlüpften auch die Gedanken des Künstlers ins Freie und bewegten sich fortan im Raum gesellschaftlicher Gesetzmässigkeiten, die häufig und allzu rasch als Notwendigkeiten bezeichnet werden. Dieser Raum, der unseren Alltag möbliert, ihn handhabbarer gestaltet, ihn aber bisweilen auch unkritischer wahrnehmen und unsere Gedanken eingleisiger verlaufen läßt, ist zur steten Herausforderung von Christoph Wank geworden. Außerhalb der Museumsmauern, in jeweils vorgefundenen Situationen kann sich sein politisches und historisches Bewußtsein aufs immer wieder Neue beweisen. Und in dieser Vielschichtigkeit erweist sich umgekehrt auch die Stringenz seiner Arbeiten. Was der Künstler in den folgenden Jahren in Angriff nahm – es hat vieles mit jenem kleinen Loch in der großen Glasfläche zu tun, durch das – von welcher Seite auch immer – die Welt fokussiert wird.

Das Beobachten und Erfassen scheinbar unumstößlicher Ordnungen und lückenloser Systeme beherrscht Christoph Wank perfekt und mit großer Leichtigkeit. Auf treffsichere Weise pointiert er das Funktionieren widerstandslos akzeptierter Sachverhalte. Dabei nistet er sich gleichsam in das beobachtete System ein und holt dann umso zielgenauer zum Gegenschlag aus, um es mit dessen eigenen Mechanismen zu konterkarieren. Auf diese Weise entgeht er stets der Gefahr der Vereinnahmung.

So positioniert er mitten ins Zentrum einer beschaulichen Kurstadt zwei Fußballtore, die sich in genau dem erforderlichen Abstand, nämlich der Länge eines Fußballfeldes, gegenüberstehen. Der festgelegte Parcours zwischen Touristeninformation, Lustgarten und Kurhaus wird als Spielfeld umgedeutet. Gewohnte Ordnungen überschneiden sich und verwirren die ahnungslosen Flaneure. Doch welche Spielregeln gelten nun? Das blinde Vor-sich-hin-Stolpern der erholungsuchenden Kurgäste ist mit optisch irritierenden Hindernissen verbunden, das Fußballspiel in den bereits anderweitig definierten Zonen jedoch auch nicht möglich. Die beiden funktionslos gewordenen Tore beginnen ihre Bedeutung zu wandeln. Sie antworten nun auf das innerstädtische Mobiliar und nehmen Bezug auf die Wälder von Hinweisschildern und Reglements, die Armada von Bänken, Papierkörben und Blumenkübeln, deren Existenz man bislang hingenommen hat, deren Notwendigkeit und ästhetische Sprache man allerdings plötzlich in Frage stellen muß. Ein simpler künstlerischer Eingriff hat einen bestehenden Kosmos, der so vollkommen schien und keine Veränderung oder Überraschung mehr zuließ, auf wunderbar humorvolle Weise spielerisch geöffnet.

In die perfekte Ordnung eines botanischen Gartens inseriert Christoph Wank ein anderes charakteristisches und gleichermaßen ironisches Element, mit dem er eine neue Zone im vetrauten Kontext definiert. Auch hier ist wieder die spezifische Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Ort zu beobachten. Der Künstler hat dort an verschiedenen Stellen Holzpfähle montiert und an diesen in großer Höhe Trauben von kleinen Vogelhäuschen angebracht. Es dauert ein wenig, bis man die eigenartigen bunten Vogelhausbäume zwischen den belaubten Ulmen entdeckt hat. Bei jeder Entdeckung ist man neu überrascht, wie man auch beim Spaziergang durch den botanischen Garten überrascht ist, eine soeben aufgegangene Blüte entdeckt zu haben. An seltene Pflanzen mit kostbaren Blütenständen erinnern auch die im Sonnenlicht leuchtenden Nistkästen aus transparentem Plexiglas in Rubinrot, Orange, Blau, Grün und milchigem Weiß. Diese Häuschen scheinen für eine schöne und sichere Heimat zu werben – und wären wohl geeignet, Singvögel anzulocken. Der Begriff des Musterhäuschens drängt sich auf. Musterhäuschen sehen so hübsch und niedlich aus – im Prospekt und auch auf der Rasenfläche der neuangelegten Siedlung. Darin zu wohnen, ist dann meist eine andere Sache, und manch einer hat sein blaues Wunder dabei erlebt. Und so drohen auch den Vögeln, die auf den leichtsinnigen Gedanken kommen, sich dort niederzulassen, üble Überraschungen. Abgesehen davon, daß sie sich der andauernden Beobachtung der Spaziergänger gewiß sein dürften, die Hitzeentwicklung in diesen Luxusgebilden ist sicher auch nicht unerheblich. Die Häuschen entpuppen sich als bösartige Angebote – als leere Versprechen. Das Muster, das Exemplum – ein wichtiges Kriterium in jedem wissenschaftlichen botanischen Garten – wird hier befolgt und gleichzeitig so kritisch wie treffsicher hinterfragt; eine gelungene Metapher auch für das Verhältnis von Künstlichkeit und Natürlichkeit, die sich gerade im Park eindrucksvoll vor Augen führt.

Ähnlich perfide arbeitet auch die seltsame Blitzanlage, die Christoph Wank an einer Schnellstraße in ländlicher Umgebung installiert hat. Als funktional und ästhetisch ansprechend wird manch einer der Passanten das monumentale, auf zwei Stützen ruhende Marmorgebilde empfinden. Doch Vorsicht: vorbeifahrende Autos oder Radfahrer werden mit Hilfe eines Bewegungsmelders nach dem Zufallsprinzip geblitzt. Jäh wird die ästhetische Betrachtung gestört, der Große Bruder verunsichert das gedankenlose Vorwärtskommen. Erst jetzt erkennt man vielleicht die Ambivalenz des Fröhlich- humorlosen, das der formschönen Installation im Sargformat innewohnt. Der harmlosen Attraktion, die sich auf den zweiten Blick widerspenstiger darstellt als gewollt, folgen Verunsicherung und drohende Bestrafung, die dann aber doch nicht stattfindet, uns aber umso verstörter zurückläßt – als kleine, aber präzise Attacke auf unsere Wahrnehmung.

Zwischen Affirmation und Subversion oszillieren auch die anderen Arbeiten des Künstlers. Ob Christoph Wank auf einem Dorfplatz treuherzig einen Landeplatz für Engel einrichtet oder auf dem Gelände eines römischen Kastells eine komplizierte, nur im Kreislauf operierende und damit ausschließlich selbstbezügliche Wasserleitung mäandern läßt – immer erscheint das Angebot zunächst verlockend und eine Benutzbarkeit durchaus möglich und sinnvoll. Aber sobald man sich anschickt, Funktionalitäten zu überprüfen oder Erwartungen zu entsprechen, ist man dem Künstler – oder vielleicht doch den eigenen Vorstellungen und Maßgaben? – bereits auf den Leim gegangen.

Auch das einsame Häuschen auf dem Kornfeld lädt ein – ja, aber zu was eigentlich? Als Unterstand bei plötzlich hereinbrechendem Unwetter? Dient es als Forschungslabor eines Wissenschaftlers, als Beobachtungsstand eines Försters, als Wachsitz eines Grenzschützers? Die multifunktionale Benutzung scheint möglich, doch stellt sich unmittelbar darauf auch die Frage nach dem Bereich, der ins Visier genommen werden soll. Ist das Häuschen wirklich dazu gedacht betreten zu werden, um von innen nach außen zu schauen – oder ist es vielleicht das irritierende Gebilde im Feld selbst – eine Skulptur im Raum –, das lediglich dazu existiert, Fronten zu schaffen, wo auch immer diese liegen? Wer und was eigentlich definiert ein Innen – und wo befindet sich außen? Wer stellt das Subjekt dar, was das Objekt? Fast scheint es, als stünden wir erneut vor einem Schlupfloch – aus der Welt hinaus oder in die Welt hinein. Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen von uns.

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