Rede zur Ausstellung von Christoph Wank am 4.12.1998 in Kempten
(von Thomas Gehring)
Eine Frage steht im Raum. Und ich, ja wir alle sehen uns mit dieser Frage,
die da im Raum steht, konfrontiert. Ich kann an dieser so in den Raum gestellten Frage einfach nicht
vorbei. Zudem ich, wie wir ja sicher alle, zur Ordnung erzogen worden bin, wonach man nichts herumstehen
lassen soll. Also nehmen wir die Frage, die hier so im Raum herum steht, einfach auf: Warum Schneebälle
im Museum? Was gibt es darauf für eine Antwort?
Ich kenne sie nicht, die eine Antwort. Aber vielleicht kann man sich dennoch einiges denken bei
dieser Frage – wenn auch ohne Antwort zunächst.
Zum Beispiel: Daß ein Künstler nicht immer wartet, bis jemand eine Frage in den Raum gestellt hat,
sondern daß er unabhängig von den Fragen anderer, eine Antwort, eine künstlerische Antwort sucht
und schafft. Wenn er diese Antwort dann präsentiert, als künstlerisches Werk, dann kommen die
anderen oft mit den Fragen erst hinterher. Was soll das? Soll das schön sein? Ist das überhaupt
Kunst? Wieviel hat das gekostet? Möglicherweise sind das gar nicht die Fragen, die passend sind zu
der Antwort, die in dem künstlerischen Werk gegeben wird..
Doch damit will ich nichts gesagt haben - gegen die Frage: Warum Schneebälle im Museum? Sie hat
Substanz - ja sicher - für viel mehr als nur für eine Antwort. Eine ganze „Latte“ von Antworten ist möglich.
Also: Warum Schneebälle im Museum?
Erste Antwort: Weil`s den Schnee g`rad gibt. Das mag banal sein, aber machen sie so eine Ausstellung
im Juli. Da finden sie keinen Schnee da draußen, weit und breit nicht, mindestens in ganz Kempten nicht.
Und niemand, ich garantiere, niemand käme auf diese Frage: Warum Schneebälle im Museum?
Die zweite Anwort: Mindestens genauso fundamental und grundlegend und epochal, hier von mir zum ersten
Mal auf der Welt oder wenigstens in Kempten formuliert, ein Satz von C.G. Jungscher Provenienz: Der
Schneeball ist der Archetyp von Kunst im öffentlichen Raum!
Conclusio: Weil Christoph Wank ein Künstler ist, der sich auf den öffentlichen Raum
kapriziert und der Schnee da ist - im öffentlichen Raum und dazu noch mitten in Kempten -
also praktisch vor der Tür da ist -liegt die Antwort ganz einfach wie so ein Schneeball auf der Hand.
Maler brauchen eine Leinwand für ihr Kunstwerk. Die Leinwand des Christoph Wank ist der öffentliche
Raum. Das kann eine Durchgangsstraße in einem Ort in Österreich sein, ein Naturpark, der botanische
Garten oder die Fußgängerzone von Bad Wörishofen.
Was aber kennzeichnet eigentlich einen öffentlicher Raum?
Zunächst das Draußen. Im Unterschied zum Drinnen. Aber auch das Öffentliche im Unterschied zum
Privaten. Jetzt gibt es auch das Draußen, das privat ist, aber dennoch öffentlicher als das Private
drinnen. Zum Beispiel: Ein privates Grundstück ist trotz „Betreten Verboten - Schild" einsehbar,
also öffentlich - auch in das abgeschirmteste Villengrundstück mit Elektrozaun, Hecke, Videoüberwachung
und bissigem Hund fliegt ein Vogel und frißt die Kirschen vom Baum und die darin sich sonnende Kinoschöhnheit
oder der prominente Entertainer sind sich nicht sicher vor dem Photo des Paparazzi, weil sie „relative
Personen des öffentlichen Lebens“ sind, die ihre Privatheit spätestens mit dem Herauskommen aus den
Privaträumen verlieren.
Entscheidend für den öffentlichen Raum ist der öffentliche Zugang zum öffentlichen Raum, er ist
für jedermann und jedefrau einsehbar, jedermann und jedefrau kann sich darüber äußern und urteilen.
Jeder kann und soll dies auch können, das macht den öffentlichen Raum aus.
Aber was macht eigentlich den öffentlichen Raum als Raum aus? Was begrenzt ihn? Denn nur in seiner
Begrenzung wird der Raum ja als Raum erfahrbar? Der private Raum hat (in der Regel) vier Wände.
Beim öffentlichen Raum ist das bei den Begrenzungen etwas schwieriger, man ist da unsicherer mit
den Grenzen. Nicht nur bei der beliebten Diskussion, wo denn die Grenzen des Raumes genannt Allgäu
liegen, nein auch bei innerstädtischen Räumen sind wir uns da - immer wieder - nicht so ganz sicher
bzw. wir nehmen oft einen Raum als solchen gar nicht war. Die Irritation, die entsteht, weil da ein
Künstler sein Werk in diesen Raum stellt und dieses Werk vielleicht noch eine Beziehung hat zu diesem
Raum, hilft uns gelegentlich erst, den Raum als solchen erst wahrzunehmen - in seiner Ästhetik,
Komposition und Funktionalität oder der entsprechenden Gestörtheit von Ästhetik, Komposition und Funktionalität.
Und noch etwas ist ganz bezeichnend beim öffentlichen Raum: Wie wir uns darin bewegen. Ganz anders als
im privaten. Wir sind immer Beobachter (Subjekt) und Beobachteter (Objekt) zugleich. Der Müßiggänger,
der im Straßencafe sitzt und die Passanten und Passantinnen beobachtet, die da vorbei flanieren, auch
er ist selbst immer Objekt der Beobachtung, vielleicht ein sogar interessanteres Objekt als die Passanten.
Und er weiß das auch, denn sonst hätte er nicht die Sonnenbrille so lässig auf die Stirn geschoben und würde
nicht ständig mit seinem Handy hantieren.
Und nicht anders ist es beim Museum, das auch ein öffentlicher Raum ist. Gelegentlich sind die Betrachter
der Kunstwerke bei ihrem Kommentieren, Sich entrüsten, Wundern oder Begeistern ein interessanteres Objekt
der Beobachtung als die Werke selbst.
Natürlich ist das Museum kein Draußen, wie der Vorplatz, sondern ein Drinnen, in das wir hineingehen,
wenn es uns draußen zu kalt ist. Trotzdem bleibt das Museum ein öffentlicher Raum. Jeder, der schon einmal
gesagt hat: „Dieses Bild da (im Museum) würde ich nicht bei mir zu Hause im Schlafzimmer aufhängen,“ hat das
in der ganzen Einfachheit dieses Bekenntnisses erkannt. Museum ist der Raum, wo jeder und jede einsehen kann,
sich äußern, urteilen, Kritik üben kann und soll. Meine Schlafzimmereinrichtung und auch alles, was da passiert
in diesem Raum, ist explizit nicht für den öffentlichen Diskurs freigegeben.
Eine besondere Bewandtnis hat es mit den Wänden im Museum. Selbstverständlich sind sie da, aber sie haben
eine besondere Funktion. Die eigentlichen Wände dieses Raumes hier, mit den Fenstern und schönen Bögen,
sind von Stellwänden eigens zugestellt worden. Wände im Museum sind da, um Bilder aufzuhängen oder neuerdings
auch um Bilder, meist mittels Projektoren, darauf zu werfen.
Das Museum ist also ein öffentlicher Raum und doch anders als der öffentliche Raum draußen. Für Christoph
Wank eine Irritation! Und wenn er von einem Raum irritiert ist, dann irritiert er seinerseits - in dem Raum.
Ihn interessiert das Verschiedene von Räumen, das Durchbrechen von Räumen, das Durchblicken und das Verbinden
von Räumen - hier von verschiedenen öffentlichen Räumen.
Der Schneeball ist für ihn ein geradezu ideales Medium, nicht nur unter dem jahreszeitlichen Aspekt.
Schnee ist nur in der Öffentlichkeit, nur im öffentlichen Raum denkbar. Nur da fällt er vom Himmel.
Es ist ein öffentliches Gut. Jeder kann darauf zugreifen und die meisten tun es auch, wenn sie aus dem
Haus treten und es hat frisch geschneit. Sie greifen in den Schnee und werfen den Schneeball. Freilich,
wer sich nach draußen begibt, setzt sich auch der Gefahr aus, von einem Schneeball getroffen zu werden,
den Hut vom Kopf heruntergeschossen zu bekommen und sieht sich so – was ist es anderes - öffentlicher
Kritik ausgesetzt. Dieses Greifen in den Schnee und das Formen eines Balles ist ein kindliches Bedürfnis,
ein Urtrieb. Und deshalb ist der folgende Satz ein grundlegender - geradezu „urig“: „Der Schneeball ist
die Urskulptur und der daraus geformte Schneemann die Urstatue“
Leider muß man bei soviel tiefschürfender Allgemeingültigkeit einschränken: Das gilt alles nur für
die nördliche Hemisphäre und dann auch nur für ein paar Monate.
Aber sei es drum. Wirft man einen Schneeball an eine Wand, bleibt etwas hängen, und wirft man drei
Schneebälle an die gleiche Wand, dann ergibt die Form in der Zweidimensionalität ein Bild.
Freilich eignet sich der Schneeball auch besonders gut als Sinnbild für das Kunstwerk im öffentlichen
Raum - weil er vergänglich ist. Es ist ausgesetzt den Zeitläuften und dem Klima, wie die Kunstwerke im
öffentlichen Raum abhängig sind von der Wertschätzung in unterschiedlichen Zeiten, abhängig von Moden und
dem politischen und kulturellen Klima. Erinnerten die monumentalen, für die Ewigkeit gebauten Stalinstatuen,
die vor nicht allzu langer Zeit umgekippt sind, nicht an einen Schneemann, dem die Frühlingssonne seinen
eisigen Sockel weggeschmolzen hat?
Und so haben auch die Schneebälle von Christoph Wank das Schicksal, daß sie hier in diesem Raum so langsam
dahin zerfließen. Kunst für die Ewigkeit sind sie nicht. Die Frage freilich – Warum Schneebälle im Museum? –
die wird auch noch im Raum stehen, kann gelegentlich aufgegriffen und wieder in den Raum gestellt werden,
wenn all die Schneebälle in diesem Raum schon lang geschmolzen sind.
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